Unterhaltsstatut

Das Unterhaltsstatut bestimmt, welches Sachrecht auf einen Unterhaltsfall mit Auslandsberührung anzuwenden ist.

Ob und von wem Unterhalt verlangt werden kann und wie hoch der Unterhalt ist, welche Unterhaltstatbestände es gibt, ob Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann und ob dieser eventuell verjährt, richtet sich nach dem Unterhaltsstatut. Das Unterhaltsrecht anderer Staaten, auch europäischer Mitgliedstaaten, weicht teilweise erheblich voneinander ab.

1. Einführung

Bisherige Kollisionsnorm für Unterhaltsansprüche war Art. 18 EGBGB, der eine inhaltsgleiche Vorwegnahme des Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 02.10.1973 (BGBl. 1986 II, 825) war. Daneben war das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24.10.1956 (BGBl. 1961 II, Seite 1012) zu berücksichtigen. Im Verhältnis der beiden Haager Übereinkommen verdrängte das Übereinkommen vom 02.10.1973 das Übereinkommen vom 24.10.1956, soweit alle beteiligten Staaten Vertragsparteien beider Verträge waren. Seit dem 18.06.2011 wird gemäß Artikel 15 EuUnthVO das Unterhaltsstatut nach den Vorschriften des Haager Protokolls zum Unterhaltskollisionsrecht vom 23.11.2007 - HUP - (abgedruckt bei Jayme Hausmann, Nr. 42) für alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs bestimmt.

Artikel 3 Nr. 1 c) EGBGB ordnet den Vorrang des Haager Protokolls vom 23.11.2007 als unmittelbar anwendbare Regelung der Europäischen Gemeinschaft gegenüber dem EGBGB an. Artikel 18 EGBGB ist durch Art. 12 Nr. 3 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsrechts weggefallen. Da das Haager Unterhaltsprotokoll 2007 auch gegenüber Nichtvertragsstaaten anzuwenden ist (Art. 2 HUP), gilt Art. 18 EGBGB auch nicht mehr gegenüber Drittstaaten, sondern allenfalls für Unterhaltsrückstände für die Zeit vor dem 18.6.2011. Das Haager-Unterhaltsprotokoll vom 23.11.2007 ersetzt im Verhältnis zu den Vertragsstaaten die Haager Übereinkommen von 1956 und 1973. Wie schon bei der Ermittlung des auf eine Scheidung anwendbaren Rechts ist auch bei der Ermittlung des Unterhaltsstatuts vorrangig zu prüfen, ob zwischen den Beteiligten eine wirksame Rechtswahlvereinbarung getroffen wurde.

2. Anwendungsbereich des Haager Protokolls

a) Zeitlicher Anwendungsbereich des Haager Protokolls vom 23.11.2007

Gemäß Art. 22 HUP finden die Kollisionsregeln des Haager Protokolls keine Anwendung auf Unterhaltsansprüche, die in einem Vertragsstaat für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des Protokolls, also vor dem 18.06.2011 in diesem Staat verlangt werden. Für Unterhaltsrückstände sind damit Art. 18 EGBGB bzw. die beiden Haager Übereinkommen vom 1956 und 1973 weiterhin anwendbar.

b) Sachlicher Anwendungsbereich (Art. 1 HUP)

Unter den sachlichen Anwendungsbereich des Haager Protokolls fallen Unterhaltspflichten, die sich aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben einschließlich der Unterhaltspflichten gegenüber Kindern, ungeachtet des Familienstands der Kindeseltern. Unterhaltsansprüche, die ihren Grund in einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder registrierten Partnerschaft haben, fallen unter Unterhaltspflichten im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EGBGB, die sich aus Beziehung der Familie ergeben (str.). Nicht erfasst sind sonstige Lebensgemeinschaften wie z.B. die nicht eheliche Lebensgemeinschaft.

c) Räumlicher Anwendungsbereich

Die Kollisionsregeln des Haager Protokolls sind auch dann anzuwenden, wenn auf das Recht eines Drittstaates verweisen wird (loi uniforme).

d) Unterhaltsstatut

aa) Verweisungen in den Art. 3-10 HUP sind gemäß Art. 12 HUP Sachnormverweisungen, so dass die Prüfung einer Rück- oder Weiterverweisung aus dem IPR des berufenen Rechts entfällt.

bb) Rechtswahl

Vor einer objektiven Anknüpfung ist vorranging zu prüfen, ob eine wirksame Rechtswahl zwischen den Beteiligten vorliegt. Das Haager Protokoll unterscheidet zwischen einer einzelfallbezogenen Rechtswahl (Art. 7 HUP) und einer allgemeinen Rechtswahl (Art. 8 HUP).

aaa) Einzelfallbezogene Rechtswahl

Gemäß Art. 7 Abs. 1 HUP können die unterhaltsberechtigte und die verpflichtete Person für ein einzelnes Verfahren in einem bestimmten Staat das Recht dieses Staates als auf die Unterhaltspflicht anzuwendendes Recht bestimmen. Die Rechtswahl erstreckt sich nicht über das konkrete Verfahren hinaus.

Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen. Art. 7 Abs. 1 HUP ist auf den Fall des bereits anhängigen Unterhaltsverfahrens zugeschnitten. Art. 7 Abs. 2 HUP regelt den Fall, dass die Rechtswahl vor Einleitung des Verfahrens getroffen wird. Für diesen Fall sieht Art. 7 Abs. 2 HUP die Einhaltung einer bestimmten Form. Entweder muss die Rechtswahlvereinbarung von beiden Parteien in einer unterschriebenen Vereinbarung in Schriftform niedergelegt sein oder sie muss auf einem Datenträger erfasst werden und dessen Inhalt für eine spätere Einsichtnahme zugänglich sein. Fraglich ist allerdings, ob eine für ein isoliertes Verfahren vor Verfahrenseinleitung getroffene Rechtswahl  auch dann noch bindend sein kann, wenn zwischen Rechtswahl und Verfahrenseinleitung ein großer Zeitraum liegt.

bbb) Allgemeine Rechtswahlmöglichkeit

Neben der Rechtswahlmöglichkeit des Art. 7 HUP können die Parteien gemäß Art. 8 HUP eine der im Katalog des Art. 8 Abs. 1 a)-d) HUP vorgesehenen Rechtsordnungen als das auf eine Unterhaltspflicht anzuwendende Recht bestimmen. Die Parteien können gemäß Art. 8 Abs. 1  HUP wie folgt wählen:

das Heimatrecht eines Beteiligten,

gemäß Art. 8 b) HUP das Recht eines Staates, in dem ein Beteiligter im Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,

gemäß Art. 8 Abs. 1 c)  HUP das Recht, das die Parteien für ihren Güterstand gewählt haben bzw. das tatsächlich darauf angewandte Recht und gemäß Art. 8 Abs. 1 d) HUP das Recht, das die Parteien als das auf ihre Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung der Ehe anzuwendende Recht bestimmt haben oder das tatsächlich auf die Ehe oder die Trennung ohne Auflösung der Ehe angewandte Recht.

Was die Rechtswahlmöglichkeiten des Art. 8 Abs. 1 c) und d) HUP angeht,  bietet sich den Parteien die Möglichkeit, einen Gleichlauf mit dem anzuwendenden Güterrecht bzw. Scheidungsrecht herzustellen. Art. 8 Abs. 2 HUP bestimmt zur Form, dass eine solche Rechtswahlvereinbarung schriftlich zu erstellen oder auf einem Datenträger erfasst sein muss, dessen Inhalt einer späteren Einsichtnahme zugänglich ist. Die Vereinbarung ist zudem von beiden Parteien zu unterschreiben. Anders als in Art. 7 Abs. 2 Rom III-VO beinhaltet Art. 8 Abs. 2 HUP keine Regelung, wonach weitergehende Formvorschriften zulässig sein könnten. Es wird deshalb teilweise vertreten, dass das jeweilige nationale Recht strengere Formvorschriften nicht anordnen darf. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten frei sind, weitergehende Formvorschriften zu erlassen.  Die Notwendigkeit weitergehender Formvorschriften ergibt sich nach hier vertretener Auffassung einerseits aus den weitreichenden existentiellen Folgen, die mit einer Rechtswahl verbunden sein können und andererseits zum Schutz der schwächeren Partei.

ccc) Schutzvorschriften bei Rechtswahl

Ausgeschlossen ist die Rechtswahl bei Beteiligung einer minderjährigen oder geschäftsunfähigen Partei (Art. 8 Abs. 3 HUP).

Ob ein Unterhaltsverzicht möglich ist, beurteilt sich stets nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der unterhaltsberechtigten Person im Zeitpunkt der Rechtswahl. Art. 8 Abs. 4 HUP verdrängt  insoweit das nach Art. 8 Abs. 1 HUP gewählte Recht. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob unter Art. 8 Abs. 4 nur Fälle des materiell-rechtlichen Unterhaltsverzichtes (z. B. im Rahmen eines Ehevertrages) zählen oder ob auch Fälle des faktischen Unterhaltsverzichts erfasst werden, weil ein Recht gewählt wurde, das im praktischen Ergebnis auf einen Unterhaltsverzicht hinausläuft.

Eine weitere Rechtswahlschranke ist in Art. 8 Abs. 5 HUP geregelt: Hiernach ist das von den Parteien gewählte Recht nicht anzuwenden, wenn seine Anwendung für eine der Parteien offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen hätte, es sei denn, dass die Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl umfassend unterrichtet und sich der Folgen Ihrer Wahl vollständig bewusst waren. Zur Beurteilung der Frage, wann die Anwendung des gewählten Rechts für eine der Parteien offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen hätte, kommen generell zwei Zeitpunkte in Betracht: Zum einen der Zeitpunkt des Abschluss der Rechtswahlvereinbarung, zum anderen der Zeitpunkt der Rechtsanwendung also in der Regel bei Gericht. Die Überprüfung auf unbillige oder unangemessene Folgen setzt einen Vergleich zwischen den Ergebnissen des gewählten Rechtes und den Folgen des bei objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechtes voraus. Unbillige oder unangemessene Folgen sind solche, die zu einer kompletten Versagung des sonst gegebenen Unterhaltsanspruches führen oder zu einer ganz wesentlichen Einschränkung. Aufgrund der neutralen Formulierung des Gesetzestextes sind aber auch unangemessene oder unbillige Folgen für die potentiell unterhaltsverpflichtete Partei denkbar. Kommt man zu dem Ergebnis, dass die Rechtswahl für eine der Parteien offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen hätte, so sind die Folgen gleichwohl hinzunehmen, wenn die Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl umfassend unterrichtet und sich der Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst waren. Durch diese Rückausnahme soll verhindert werden, dass staatliche Gerichte vorschnell Rechtswahlvereinbarungen als unwirksam erachten.  In der Praxis wird dies zu Streit- und damit auch zu Beweislastfragen führen, ob und in welchem Umfang die Parteien beraten wurden.

cc) Allgemeines Unterhaltsstatut (Art. 3 HUP)

Haben die Parteien keine oder jedenfalls keine wirksame Rechtswahl getroffen, bestimmt sich das auf den Unterhaltsanspruch anwendbare Recht vorbehaltlich der Art. 4, 5 HUP gemäß Art. 3 HUP nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Unterhaltsberechtigten. Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, ist gemäß Art. 3 Abs. 2 HUP das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthaltes anzuwenden. Das Unterhaltsstatut ist also wandelbar (Statutenwechsel).

dd) Sonderregeln zu Gunsten bestimmter berechtigter Personen (Art. 4 HUP)

Für die in Art. 4 Abs. 1 a)-c) HUP aufgezählten Unterhaltsberechtigten (Eltern, Verwandte, Kinder) ist grundsätzlich ebenfalls gemäß Art. 3 Abs. 1 HUP auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten abzustellen. Art. 4 Abs. 2 macht hiervon eine Ausnahme, wenn nach dem allgemeinen Unterhaltsstatut des Art. 3 die berechtigte Person von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten kann. In diesem Falle gilt gemäß Art. 4 Abs. 2 HUP das Recht des angerufenen Gerichts. Kann die berechtigte Person wiederrum nach dem Recht des angerufenen Gerichts keinen Unterhalt vom Verpflichteten erhalten, ist hilfsweise gemäß Art. 4 Abs. 4 HUP das gemeinsame Heimatrecht zwischen dem Berechtigten und der verpflichteten Person anzuwenden. Nimmt eine nach Art. 4 Abs. 1 berechtigte Person den Unterhaltsverpflichteten an seinem gewöhnlichen Aufenthalt in Anspruch, so ist das Recht des angerufenen Gerichts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verpflichteten anzuwenden. Kann die berechtigte Person hiernach keinen Unterhalt erhalten, so ist gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 2 das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes der berechtigten Person anzuwenden. Ist auch bei dieser Anknüpfung kein Unterhalt zu erhalten, wird gemäß Art. 4 Abs. 4 HUP gegebenenfalls an das gemeinsame Heimatrecht von Berechtigtem und Verpflichtetem angeknüpft.

ee) Sonderregeln für Ehegattenunterhalt (Art. 5 HUP)

Die Anknüpfung gemäß Art. 3 HUP an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten gilt auch für Trennungs- und Nachscheidungsunterhalt. Bezüglich des Nachscheidungsunterhaltes hat sich die Rechtslage mit dem Haager Unterhaltsprotokoll geändert. Während vor dem 18.06.2011 lediglich der Trennungsunterhalt gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB wandelbar an den jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten anzuknüpfen war, richtete sich der Nachscheidungsunterhalt unwandelbar nach dem auf die Scheidung angewandten Recht (Art. 18 Abs. 4 EGBGB). Nach der jetzt gültigen Rechtslage ist auch das Statut für den Nachscheidungsunterhalt auf Grund einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Unterhaltsberechtigten wandelbar. Art. 5 HUP eröffnet einem der (früheren) Ehegatten eine Einrede, wonach sich ein Ehegatte darauf berufen kann, dass nicht das nach Art. 3 berufene Recht, sondern das Recht eines anderen Staates zu der betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist (insbesondere das Recht des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes). In diesem Falle ist das Recht des Staates anzuwenden, mit dem die betreffende Ehe eine engere Verbindung aufweist als das nach Art. 3 HUP berufene Recht. Insbesondere soll durch Art. 5 HUP einem Aufenthaltswechsel des Berechtigten entgegengewirkt werden, der nur bezweckt, nach dem neuen Aufenthaltsrecht einen gegebenenfalls höheren Unterhalt zu verlangen.

Beispiel:

M. und F., beide deutsche Staatsangehörige, sind verheiratet. Nach der Trennung von M. zieht F. nach Ecuador. Kann F. in einem Verfahren vor einem deutschen Gericht Ehegattentrennungsunterhalt nach Maßgabe des § 1361 BGB von M verlangen? Unterhaltsansprüche der Ehefrau richten sich gemäß Art. 15 EuUntHVO i. V. m. Art. 3 Abs. 2 HUP nach dem Recht von Ecuador, wo F sich nach ihrem Ortswechsel (Statutenwechsel) gewöhnlich aufhält. Unschädlich ist, dass Ecuador nicht Vertragsstaat ist (vgl. Art. 2 HUP). F. kann sich allerdings gemäß Art. 5 HUP auf die Anwendung des deutschen Rechts berufen mit der Begründung, die Ehe weise die engere Verbindung mit Deutschland auf, wo das Ehepaar zuletzt den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Art. 5 HUP räumt jeder Partei ein Einrederecht ein.

Praxishinweis: Anwältinnen/Anwälte werden zukünftig beim Ehegattenunterhalt nicht nur zu ermitteln haben, welches Recht gemäß Art. 3 HUP auf den Unterhaltsanspruch anzuwenden ist. Sie werden vielmehr auch alternativ prüfen müssen, ob die betreffende Ehe zu einem anderen Staat als dem des derzeitigen Aufenthaltes des Unterhaltsberechtigen eine engere Beziehung aufweist. Von der Beurteilung, welches Recht das günstigere für den eigenen Mandanten ist, wird es abhängen, ob man die Einrede des Art. 5 HUP überhaupt erhebt.

ff) Regressansprüche öffentlicher Einrichtungen (Art. 10 HUP)

Regressansprüche von Sozialträgern unterliegen gemäß Art. 10 HUP dem Recht, dem der Sozialträger untersteht. Das Maß der Erstattungspflicht des Unterhaltsschuldners wird nach dem für die Unterhaltspflicht geltenden Recht gemäß Art. 11 f HUP begrenzt.

gg) Geltungsbereich des Unterhaltsstatuts (Art. 11 HUP)

Gemäß Art. 11 bestimmen sich nach dem Unterhaltsstatut insbesondere folgende Fragen:

Ob von wem und in welcher Höhe Unterhalt verlangt werden kann,

In welcher Höhe Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann,

Die Berechnungsgrundlagen des Unterhaltes sowie die Indexierung, Verjährungsfristen oder Fristen für die Einleitung eines Verfahrens,

Umfang der Erstattungspflicht des Unterhaltsverpflichteten gegenüber dem Sozialträger für bereits erbrachte Unterhaltsleistung,

Berechtigung zur Einleitung eines Unterhaltsverfahrens (betrifft nicht Fragen der Prozessfähigkeit und der Vertretung im Verfahren).

Als Bestandteil der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmen sich auch vorbereitende Ansprüche und Gestaltungsrechte nach dem Unterhaltsstatut; dies gilt insbesondere für Auskunftsansprüche.  Auch die Frage der Verpflichtung zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses wird vom Anwendungsbereich des Unterhaltsstatuts umfasst.  Besteht also im Einzelfall nach dem maßgebenden ausländischen Unterhaltsstatut keine Prozesskostenvorschusspflicht, kann diese auch nicht hilfsweise aus dem deutschen Recht hergeleitet werden. Auch die Frage, ob Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann, richtet sich nach dem zur Anwendung berufenen Sachrecht.

hh) Unterhaltsbemessung

Bei Aufenthalt der geschiedenen Ehegatten in unterschiedlichen Ländern ist eine Anpassung des nach Art. 18 Abs. 5 oder 4 EGBGB und dem daraus folgenden Unterhaltsstatut geschuldeten €-Unterhaltsbetrages erforderlich, wenn der Unterhaltsberechtigte durch Übersiedlung in ein billigeres Land seinen Bedarf mit geringerem Aufwand decken kann.  Die Anpassung ist dann in gleicher Weise vorzunehmen wie beim Kindesunterhalt, d.h. Abschlag unter Berücksichtigung von Verbraucherparität, Devisenkurs sowie der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse im Aufenthaltsstaat des unterhaltsberechtigten Ehegatten.

ii) Ordre public (Art. 13 HUP)

Das nach Art. 3 bis 10 HUP berufene Recht ist unbeachtlich, wenn seine Anwendung im Einzelfall dem ordre public des angerufenen Staates offensichtlich wiederspricht. Es handelt sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift.

Der Fall, dass nach dem anwendbaren Recht der Berechtigte keinen Unterhalt erhält oder der Verpflichtete ohne Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen wird, ist einerseits durch die Sonderregelung des Art. 4 Abs. 2-4 HUP, aber auch durch Art. 14 HUP in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Gemäß Art. 14 HUP sind bei der Bemessung des Unterhalts nicht nur die Bedürfnisse der berechtigten Person, sondern auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der verpflichteten Person zu berücksichtigen, selbst wenn das anzuwendende Recht etwas Anderes bestimmt.

3. Verhältnis staatsvertraglicher Regelungen zu nationalem Kollisionsrecht

Kollisionsnormen zum Unterhaltsstatut finden sich zunächst in folgenden völkerrechtlichen Vereinbarungen:

  • Im Verhältnis zum Iran ist zur Anknüpfung des Unterhaltsstatuts maßgeblich das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.02.1929,  nach welchem bei gleicher Staatsangehörigkeit von Unterhaltsberechtigtem und Unterhaltsverpflichtetem allein an deren Staatsangehörigkeit angeknüpft wird (Art 8 Abs. 3 des Niederlassungsabkommens).
  • Im Verhältnis zu Belgien, China (Sonderverwaltungsregion Macau), Liechtenstein und Österreich gilt, was Unterhalt für noch nicht 21-jährige Kinder betrifft, das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24.10.1956  (HKUA).
  • Mit einer größeren Zahl von Staaten ist für Deutschland am 01.04.1987 das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 02.10.1973 (HUA)  in Kraft getreten. Das HUA verdrängt das HKUA, soweit die beteiligten Staaten Vertragsstaaten beider Verträge sind (Art. 18 Abs. 1 HUA). Das HKUA gilt damit nur noch zwischen Vertragsstaaten, von denen einer das HUA noch nicht in Kraft gesetzt hat. Die im HUA geregelten Anknüpfungspunkte sind inhaltlich völlig identisch mit der innerstaatlichen Regelung, die am 01.09.1986 mit der Neufassung von Art. 18 EGBGB in Kraft getreten war. Das HUA war zugleich mit dem Gesetz zur Neuregelung des internationalen Privatrechts, welches die Neufassung des EGBGB brachte, durch die Bundesrepublik ratifiziert worden; Art. 18 EGBGB ist inhaltsgleich mit dem HUA und hat daher staatsvertraglichen Charakter. Das HUA ist loi uniforme, d.h. es gilt für die Rechtsanwendung in Deutschland bei jedem Auslandsbezug unabhängig davon, ob Berührung zu einem Vertragsstaat oder einem Nichtvertragsstaat vorliegt (Art. 3 HUA).  Es bedarf also nicht der Mühe zu prüfen, ob ein Vertragsstaat des HUA vorliegt oder nicht. Daher ist es trotz des an sich nach Art. 3 Abs. 2 EGBGB gegebenen Vorrangs des HUA für die Praxis zulässig, lediglich den Text des Art. 18 EGBGB heranzuziehen.  Bei Fragen zur Interpretation von Art. 18 EGBGB ist es allerdings geboten, die Vorschrift i.S. des HUA auszulegen. Für die Unteranknüpfung bei Mehrrechtsstaaten enthält Art. 16 HUA eine von Art. 4 Abs. 3 EGBGB abweichende Regelung, so dass aufgrund des gemäß Art. 3 Abs. 2 angeordneten Vorrangs staatsvertraglicher Regelungen Art. 4 Abs. 3 EGBGB von Art. 16 HUA verdrängt wird.  Im Hinblick auf den staatsvertraglichen Charakter des Art. 18 EGBGB sind die dort geregelten Anknüpfungen Sachnormverweisungen, nicht also Gesamtverweisung i.S. von Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB.
  • In Bezug auf das anwendbare Recht enthält die EuUnterhVO in Art. 15 lediglich den Hinweis, dass sich das anwendbare Recht in denjenigen Mitgliedstaaten, die durch das Haager IPR-Unterhaltsprotokoll  gebunden sind, nach eben diesem Protokoll richtet. Die Europäische Gemeinschaft hat sich mit der Inanspruchnahme ihrer Regelungskompetenz nach Art. 61 lit. C i.V.m. Art. 65 EG die Regelungen des Haager IPR-Unterhaltsprotokolls zu eigen gemacht.  Durch diese Technik (Vermeidung paralleler Vorschriften zum anwendbaren Recht in der UnthVO) ist es auch möglich, dass sich das Vereinigte Königreich zwar an der EuUnthVO beteiligt, nicht aber am Haager IPR-Unterhaltsprotokoll.

4. Auskunftsanspruch

Der Auskunftsanspruch ist grundsätzlich nach demselben Statut zu beurteilen wie der Unterhaltsanspruch selbst. Viele Rechtsordnungen sehen einen Auskunftsanspruch jedoch nicht vor, weil nach deren Prozessrecht die Untersuchungsmaxime gilt und der befasste Richter von Amts wegen die erforderlichen Auskünfte einholt. Ist vor einem inländischen Gericht ein Fall nach ausländischem Unterhaltsrecht zu lösen, kann das inländische Gericht nur sein eigenes Prozessrecht (Lex fori) anwenden, nach dem grundsätzlich die Dispositionsmaxime gilt. Stellt das ausländische Unterhaltsrecht demnach keinen Auskunftsanspruch zur Verfügung, ist dieser dennoch im Wege der Angleichung zu gewähren.

5. Prozesskostenvorschusspflicht

Der Anwendungsbereich des Unterhaltsstatuts umfasst auch die Frage der Verpflichtung zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses. Diese Qualifikation ist inzwischen h.M.  Besteht also im Einzelfall nach dem maßgebenden ausländischen Unterhaltsstatut keine Prozesskostenvorschusspflicht, kann diese auch nicht hilfsweise aus dem deutschen Recht hergeleitet werden.

6. Materielle Präklusion nach ausländischem Recht

Manche Rechtsordnungen verlangen, dass der Nachscheidungsunterhalt mit der Scheidung geltend gemacht wird. In solchen Fällen ist zu prüfen, ob es sich um einen prozessual und damit als unbeachtlich zu qualifizierenden ausländischen Verbund oder vielmehr um eine materielle Präklusionsvorschrift handelt.  Ergibt sich das Vorliegen einer materiellen Präklusion, ist diese auch von einem deutschen Gericht bei Anwendung des ausländischen Unterhaltsrechts zu beachten.