Internationale Zuständigkeit

Auch in einem unterhaltsrechtlichen Fall kann sich Auslandsbezug ergeben, etwa weil Unterhaltsgläubiger und Unterhaltsschuldner unterschiedliche Staatsangehörigkeiten oder Aufenthalte haben. Um einen vollstreckungsfähigen Unterhaltstitel in Deutschland zu erzielen, stellt sich vorweg die Frage nach der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte.

Die internationale Zuständigkeit für Unterhaltsprozesse ergibt sich aus einem mehrstufigen System supranationaler Rechtsquellen, so dass auf autonomes Recht erst zurückgegriffen werden darf, wenn keine der supranationalen Rechtsquellen einschlägig ist. Das Zuständigkeitssystem, erfasst neben Prozessen zur erstmaligen Geltendmachung einschließlich Abänderungsanträgen  – unabhängig davon, ob sie als Folgesache oder isoliert betrieben werden – ebenso Verfahren zur einstweiligen Anordnung (§§ 246 ff. FamFG) und das Vereinfachte Verfahren nach §§ 249 ff. FamFG. Neu hinzugekommen ist die Verordnung (EU) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.2008  - EuUnthVO -  mit Inkrafttreten am 18.6.2011, so dass sich folgende Prüfungsreihenfolge ergibt:

1. Internationale Zuständigkeit nach der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUnthVO)

a) Anwendungsbereich/Verhältnis zu anderen Übereinkommen

Die EuUnthVO ist ab dem 18.6.2011 anwendbar und regelt die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen und die Unterstützung der Parteien durch sogenannte Zentrale Behörden der speziell auf Unterhaltssachen anwendbaren Verordnung Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 (EuUnterhVO). Die EuUnthVO ersetzt die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen der EuGVVO (Art. 68 Abs. 1 EuUnthVO). Die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen der EuGVVO für die internationale Zuständigkeit in Unterhaltssachen haben damit nur noch für vor dem 18.6.2011 eingeleitete Verfahren Relevanz (Art. 75 Abs. 2 S. 2 EuUnthVO). Die entsprechenden Ausführungsvorschriften zu der EuUnthVO finden sich im sog. AUG – Auslandsunterhaltsgesetz vom 23.5.2011, in dem u.a. eine neue Zuständigkeit des Bundesamts für Justiz als Zentrale Behörde bei grenzüberschreitenden Unterhaltsvollstreckungen geschaffen wurde.

Mitgliedstaaten im Sinne der VO sind alle Mitgliedstaaten (einschließlich Irland und dem Vereinigten Königreich) mit Ausnahme Dänemarks (vgl. Art. 1 Abs. 2 EuUnthVO). Dänemark hat zwischenzeitlich aber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Inhalt der an der EuGVVO durch die EuUnthVO vorgenommenen Änderungen gemäß Art. 3 des Abkommens vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen anzuwenden.  Dies bedeutet, dass die EuUnthVO auf die Beziehungen zwischen der Union und Dänemark Anwendung findet mit Ausnahme der Kapitel III und VII der EuUnthVO (Anwendbares Recht und die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden).

Im Verhältnis zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handlessachen vom 30.10.2007, dem LugÜ II ist die EuUnthVO gem. Art. 69 Abs. 1 und 2 EuUnthVO nachrangig, wenn ein Beteiligter eines Rechtsstreits seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EuUnthVO und der andere Beteiligte in einem Vertragsstaat des LugÜ II hat, der nicht auch gleichzeitig Mitgliedstaat der EuUnthVO ist (z.B. Schweiz).

Die EuUnthVO geht den Haager Unterhaltsübereinkommen von 1956 und 1973 im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander vor, jedoch nicht im Verhältnis eines Mitgliedstaates zu einem Nichtmitgliedstaat, der aber Vertragsstaat eines der Übereinkommen ist.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 EuUnthVO umfasst der sachliche Anwendungsbereich sämtliche Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen. Was unter Unterhalt begrifflich zu verstehen ist, muss durch autonome Auslegung ermittelt werden.  Die gegebenenfalls relevante Vorfrage, ob überhaupt ein Familienverhältnis besteht, wird in der VO nicht geregelt, sondern bestimmt sich nach Kollisionsrecht des jeweiligen Mitgliedstaates. Ansprüche aus Lebenspartnerschaften sind wohl umfasst (str.), nicht aber Ansprüche aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften.  Nach derzeit wohl h.M. werden bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung überzahlten Unterhalts nicht vom Anwendungsbereich der VO erfasst.

b) Vorrangig zu berücksichtigende Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 4 EuUnthVO)

Gerichtsstandsvereinbarungen (vertragliche Regelung des international zuständigen Gerichts) sind zwar möglich, sind aber zum Schutz des Unterhaltsgläubigers auf die in Art. 4 Abs. 1a) bis c) EuUnthVO vorgesehenen Möglichkeiten beschränkt. Erforderlich ist ein hinreichender Bezug zu dem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit vereinbart wird. Dieser Bezug wird entweder durch den gewöhnlichen Aufenthalt einer der Parteien (Art. 4 Abs. 1a) EuUnthVO) oder die Staatsangehörigkeit einer der Parteien zu dem betreffenden Mitgliedstaat (Art. 4 Abs. 1b) EuUnthVO) hergestellt. Für Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten oder geschiedenen Ehegatten stellt Art. 4 Abs. 1c) EuUnthVO zudem den Gerichtsstand des Gerichtes zur Verfügung, welches zwischen den Ehegatten oder geschiedenen Ehegatten für Ehesachen zuständig ist oder des Gerichtes/der Gerichte des Mitgliedstaates, in dem die Ehegatten mindestens ein Jahr lang ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Gewählt werden kann entweder ein konkretes Gericht, welches die nach  Art. 4 Abs. 1 a) bis c) EuUnthVO erforderlichen Kriterien erfüllt oder die Gerichte eines Mitgliedstaates, so dass sich in letzterem Fall die örtliche Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften richtet.

Die in Art. 4 Abs. 1 a) bis c) EuUnthVO müssen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung oder zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts erfüllt sein (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EuUnthVO).

Hinsichtlich der Form einer Gerichtsstandsvereinbarung genügt gemäß Art. 4 Abs. 2 EuUnthVO Schriftform, wobei elektronische Übermittlung ausreicht, wenn sie eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglicht.

Gemäß Art. 4 Abs. 3 EuUnthVO sind Gerichtsstandsvereinbarungen für Streitigkeiten, die die Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern zum Gegenstand haben, ausgeschlossen.

c) Allgemeine Zuständigkeit

Art. 3 EuUnthVO sieht eine Reihe alternativer Zuständigkeiten vor:

aa) Gemäß Art. 3a) EuUnthVO sind die Gerichtes des Ortes des Mitgliedstaates zuständig, an dem der Beklagte  seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Beklagter/Antragsgegner muss nicht zwingend der Unterhaltsschuldner sein; es kann sich hierbei auch um die Klage gegen einen Unterhaltsgläubiger handeln.  Anders als Art. 2 EuGVVO wird hinsichtlich des allgemeinen Beklagtengerichtsstandes nicht mehr auf den Wohnsitz, sondern den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt. Durch das Abstellen auf den gewöhnlichen Aufenthalt wird ein Gleichklang zwischen der internationalen Zuständigkeit der EuUnthVO und der Regelanknüpfung zur Ermittlung des anwendbaren Unterhaltsrechtes in Art. 3 HUP hergestellt (vgl. hierzu nachfolgend unter F II).

bb) Gemäß Art. 3b) EuUnthVO kann alternativ auch das Gericht des Ortes in dem Mitgliedstaat zuständig sein, in dem die unterhaltsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Zuständigkeitsalternative erfordert nicht, dass der Beklagte auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat.

cc) Gemäß Art. 3c) EuUnthVO kann auch das Gericht zuständig sein, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist. Die Zuständigkeit hiernach besteht nur dann nicht, wenn sich die Zuständigkeit des Gerichts für die Personenstandssache alleine auf die Staatsangehörigkeit einer der Parteien stützt.

dd) Alternativ hierzu ist gemäß Art. 3d) EuUnthVO das Gericht zuständig, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist. Dies gilt aber nicht, wenn sich die Zuständigkeit ausschließlich auf die Staatsangehörigkeit einer der Parteien stützt. Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung sind insbesondere Sorgerechtsverfahren.

Bei den Zuständigkeiten des Art. 3a) und b) EuUnthVO könnte man aufgrund des Wortlautes ("das Gericht des Ortes") vermuten, dass nicht nur die internationale, sondern gleich auch die örtliche Zuständigkeit mit geregelt ist. Gleichwohl bestimmt § 28 AUG für Zuständigkeiten nach Art. 3a) und b) EuUnthVO eine Zuständigkeitskonzentration. Wohnt ein Beteiligter nicht im Inland, ist ausschließlich das Amtsgericht am Sitz des OLG zuständig, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

In Verfahren der in Art. 3c) EuUnthVO beschriebenen Art ist gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AUG das Amtsgericht örtlich zuständig, bei dem die Ehesache anhängig ist.

d) Rügelose Einlassung (Art. 5 EuUnthVO)

Die Zuständigkeit kann sich auch aufgrund rügeloser Einlassung ergeben, wenn sich die Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaates nicht schon aus Art. 4 und Art. 3 EuUnthVO ergibt.

e) Auffang- und Notzuständigkeit (Art. 6 u. 7 EuUnthVO)

Art. 6 EuEheVO schafft eine Auffangzuständigkeit in den Fällen, in denen sich keine Zuständigkeit eines EU-Mitgliedstaates nach den Art. 3, 4 und 5 und ferner auch nicht die Zuständigkeit eines Vertragsstaates des LugÜ II ergibt. In diesen Fällen besteht nach Art. 6 EuUnthVO die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates, dem die Parteien gemeinsam angehören.

Ergibt sich auch aus Art. 6 EuUnthVO nicht die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates, können in Ausnahmefällen die Gerichte eines Mitgliedstaates über den Rechtsstreit entscheiden, wenn es nicht zumutbar ist oder sich als unmöglich erweist, ein Verfahren in einem Drittstaat, zu dem der Rechtsstreit einen engen Bezug aufweist, einzuleiten oder zu führen. Gleichwohl muss der Rechtsstreit auch einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweisen.

f) Abänderungszuständigkeit (Art. 8 EuUnthVO)

Ist in einer Unterhaltssache bereits eine Entscheidung in einem Mitgliedstaat  ergangen, in dem die unterhaltsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, so besteht die Abänderungszuständigkeit des Erstgerichtes auch für ein vom Unterhaltsschuldner eingeleitetes Abänderungsverfahren oder neues Verfahren (welches sich wie eine Abänderung auswirkt) fort. Voraussetzung für den Fortbestand der Erstzuständigkeit im Abänderungsfall ist, dass der Unterhaltsgläubiger auch weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Mitgliedstaat hat, in dem die Erstentscheidung ergangen ist und kein Ausschlussgrund nach Art. 8 Abs. 2 EuUnthVO eingreift. Die Abänderungszuständigkeit des Erstgerichts soll auch für Vergleiche und öffentliche Urkunden nach Art. 48 Abs. 2 EuUnthVO gelten.

g) Einstweilige Maßnahmen (Art. 14 EuUnthVO)

Art. 14 EuUnthVO sieht eine Zuständigkeitsregelung für den einstweiligen Rechtsschutz vor. Hiernach kann sich die internationale Zuständigkeit des Gerichtes eines Mitgliedstaates zum einen aus den Zuständigkeitsregelungen der EuUnthVO selbst ergeben. Zum anderen kann sich die internationale Zuständigkeit des Gerichts für einstweilige Maßnahmen auch aus dem autonomen, nationalen Recht ergeben (§§ 105, 50 FamFG). Unschädlich ist, wenn sich in der Hauptsache die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates ergibt. Zu beachten ist, dass die Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Maßnahme, deren internationale Zuständigkeit sich auf das autonome, nationale Recht stützt, nur auf dieses Territorium beschränkt  und nicht auch in anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar ist.

h) Entgegenstehende Rechtshängigkeit (Art. 12 EuUnthVO)

Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs Verfahren geführt, muss das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist. Ist dies der Fall, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig (Art. 12 Abs. 2 EuUnthVO). Ausländische Rechtshängigkeit ist also im Inland beachtlich, wenn in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des LugÜ II bzw. in einem Drittstaat ein Unterhaltsanspruch geltend gemacht wird, vorausgesetzt das im Ausland eingeleitete Unterhaltsverfahren betrifft dieselben Personen und der Streitgegenstand ist identisch. Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn im Ausland auf Trennungsunterhalt und im Inland auf Nachscheidungsunterhalt geklagt wird.  Entgegenstehende Rechtshängigkeit ist zudem nur beachtlich, wenn im Ausland auch tatsächlich Unterhalt eingefordert wird. Die theoretische Möglichkeit, aufgrund derer ein ausländischer Richter kraft seiner Kompetenz und prozessualen Befugnisse ohne Antragserfordernis eine vorläufige Regelung treffen könnte, reicht nicht aus.  Anderweitige Rechtshängigkeit eines ausländischen Unterhaltsverfahrens hindert zudem nicht eine vorläufige Unterhaltsregelung im Inland durch Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Ist ein also Unterhaltsverfahren in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des  LugÜ II eingeleitet, ist ein im Inland eingeleitetes Verfahren zunächst auszusetzen (Art. 12 Abs. 1 EuUnthVO, Art. 21 LugÜ). Wenn das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit festgestellt hat, muss sich das später angerufene Gericht für unzuständig erklären (Art. 12 Abs. 2 EuUnthVO, Art. 21 Abs. 2 LugÜ).

Wird ein Unterhaltsanspruch in einem Drittstaat geltend gemacht, ist die Rechtshängigkeit nach den Voraussetzungen des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zu beachten, d.h. wenn mit der Anerkennung der ausländischen Entscheidung im Inland gerechnet werden kann, sog. Anerkennungsprognose (auf letzteres kommt es im Anwendungsbereich der der EuUnthVO und dem  LugÜ II nicht an).

Der wesentliche Unterschied zwischen der Rechtshängigkeit nach der EuUnthVO, dem  LugÜ II und § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO besteht im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit. Nach Art. 9 EuUnthVO wird in Abweichung zur ZPO der Eintritt der Rechtshängigkeit vorverlagert auf den Zeitpunkt der Einreichung des noch zuzustellenden, verfahrenseinleitenden Schriftstückes bei Gericht. Hiervon wiederum abweichend bestimmt sich der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des LugÜ gemäß Art.21 LugÜ nach dem jeweiligen nationalen Recht.