Sorgestatus

Hinsichtlich des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kind ist kollisionsrechtlich zwischen zwei unterschiedlichen Anknüpfungsgegenständen zu unterscheiden: Einerseits geht es um das Statut für die sich ex lege ergebenden Rechtsverhältnisse zur Personen- und Vermögenssorge (Wer ist kraft Gesetzes Sorgeinhaber? Umfang der Sorge? Gesetzliche Vertretung?). Andererseits handelt es sich um die Frage des auf die gerichtliche oder behördliche Regelung der elterlichen Sorge/des Umgangs anwendbaren materiellen Rechts.

1. Ex-lege-Rechtsverhältnis Eltern-Kind

Zum gesetzlichen Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind gibt es keine vorrangigen multilateralen Normen. Lediglich im Verhältnis zum Iran geht bilateral das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.02.1929 (s.o. Rdn. 70) vor, nach dessen Art. 8 Abs. 3 für iranische Kinder an deren Staatsangehörigkeit anzuknüpfen ist. Dies gilt allerdings nicht für Kinder, die außer der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Ansonsten ist Kollisionsnorm Art. 21 EGBGB. Die Vorschrift gilt gleichermaßen für in einer Ehe wie auch für außerhalb einer Ehe geborene Kinder. Die frühere, auch kollisionsrechtliche Differenzierung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern ist mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 entfallen. Auch für Kinder, deren Heimatrecht noch zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterscheidet, ist unterschiedslos von Art 21 EGBGB auszugehen.

Einziger Anknüpfungspunkt in Art. 21 EGBGB ist seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes. Auf die Staatsangehörigkeit darf nicht abgestellt werden, auch nicht bei einem im Ausland lebenden deutschen Kind. Dies gilt auch für einstweilige Maßnahmen. Nur wenn die Anwendung des Aufenthaltsrechts zu einem nach deutschem Rechtsverständnis völlig untragbaren Ergebnis führt, kann beim Vorliegen der engen Voraussetzungen des Art. 6 EGBGB auf das deutsche Recht zurückgegriffen werden.

2. Regelung der Sorge/des Umgangs

Auch zur Frage des auf die familiengerichtliche Regelung der elterlichen Sorge anwendbaren Rechts ist Art. 21 EGBGB einschlägige Kollisionsnorm. Die Vorschrift ist jedoch nur anwendbar, soweit nicht supranationale Regelungen vorgehen. Gegenüber Art. 21 EGBGB sind vorrangig – was das materiell-rechtliche Statut zur gerichtlichen Sorgeregelung betrifft – im jeweiligen Anwendungsbereich

  • im Verhältnis zum Iran das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.02.1929, ansonsten und in dieser Rangfolge
  • das HKiEntÜ,
  • das KSÜ.

Kommt eine Sorgeregelung betreffend einen – ausschließlich – iranischen Minderjährigen in Betracht, ist nach Art. 8 Abs. 3 des Niederlassungsabkommens einziger Anknüpfungspunkt die iranische Staatsangehörigkeit des Kindes. Als Regelung in einem völkerrechtlichen Vertrag führt diese Verweisung unmittelbar in die Sachnormen des iranischen Rechts.

Bei Anwendung der iranischen Sachnormen ergibt sich ggf. eine besondere Problematik: Die einschlägigen Vorschriften enthalten islamischem Rechtsverständnis entsprechend ungleiche Regelungen zur Sorge für Jungen und Mädchen, welche zudem die Mutter in erheblichem Maße gegenüber dem Vater benachteiligen. Hierzu ist im Einzelfall zu prüfen, ob das deutsche Gericht davon in Anwendung von Art. 6 EGBGB wegen Verstoßes gegen den inländischen ordre public abweichen kann.

Das HKiEntÜ geht im Rahmen seines Anwendungsbereichs (s.o. Rdn. 92) dem MSA vor (Art. 34 HKiEntÜ). Art. 12, 13 und 20 HKiEntÜ normieren die materiellen Voraussetzungen zur Entscheidung über die Rückgabe des Kindes, so dass insoweit nationales Sachrecht nicht zur Anwendung kommen kann. Das HKiEntÜ beinhaltet damit nicht nur die Kollisionsnorm hinsichtlich der Voraussetzungen für die Rückgabeentscheidung, indem es für diesen Bereich die Anwendbarkeit des nationalen Rechts ausschließt; es enthält zugleich die einschlägigen Sachnormen.

Bis zum 28.02.2005 war der Anwendungsbereich des Art. 21 EGBGB durch Staatsverträge, vor allem durch Art. 2 des Haager Minderjährigenschutzabkommen MSA stark eingeschränkt. Mit dem Inkrafttreten der EuEheVO ist der Vorrang des MSA entfallen, weil die EuEheVO gemäß Art. 61 a) EuEheVO Vorrang vor dem MSA genießt, wohingegen das Aufenthaltsrecht nach Art. 2 MSA nur dann zur Anwendung kommt, wenn sich die Zuständigkeit nach Art. 1 MSA im Aufenthaltsstaat ergibt (Gleichlaufprinzip).  Da sich aber in den meisten Fällen die internationale Zuständigkeit nach der EuEheVO richtet und nicht mehr nach dem MSA, kommt mangels Gleichlauf auch nicht die Kollisionsregel des Art. 2 MSA zur Anwendung. Nur im Verhältnis zur Türkei, die kein EU-Mitgliedstaat, aber zusammen mit Deutschland Vertragsstaat des MSA ist, gilt das MSA, insbesondere Art. 2 MSA, im Verhältnis zur Türkei fort.

Überwiegend verdrängt das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (KSÜ) v. 19.10.1996 ab dem 01.01.2011 die nationale Kollisionsregel des Art. 21 EGBGB.

Das auf behördliche Maßnahmen anwendbare Recht ergibt sich dann aus Art. 15 KSÜ. Dies gilt selbst dann, wenn sich die internationale Zuständigkeit nicht aus dem KSÜ ergibt, sondern aus der EuEheVO (Art. 61 a) EuEheVO, Art. 52 KSÜ). Obwohl das KSÜ ebenso wie das MSA vom Gleichlaufgrundsatz ausgeht (das zuständige Gericht wendet  sein eigenes Recht an), verdrängen nach h.M. die Art. 15 ff. KSÜ als isolierte Kollisionsnormen den Art. 21 EGBGB.

Die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes unterliegt dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (Art. 16 KSÜ). Die Ausgestaltung als loi uniforme bedeutet, dass auch in das Recht eines Nichtvertragsstaates verwiesen  werden kann. Durch einen Aufenthaltswechsel besteht die einmal begründete elterliche Verantwortung fort.

Die Ausübung der elterlichen Sorge richtet sich nach Art. 17 KSÜ, wonach das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes  des Kindes maßgebend ist und mit dem Wechsel des Aufenthaltes auch ein Statutenwechsel eintritt.

Der Schutz des rechtsgeschäftlichen Verkehrs richtet sich nach Art. 19 KSÜ.

Soweit weder das deutsch-persische Abkommen noch das HKiEntÜ noch das KSÜ anwendbar sind, richtet sich die Ermittlung des Sorgestatuts nach Art. 21 EGBGB. Einziger Anknüpfungspunkt ist hier der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen. Auf die Staatsangehörigkeit darf nicht abgestellt werden, auch nicht bei einem im Ausland lebenden deutschen Kind. Dies gilt auch für einstweilige Maßnahmen. Nur wenn die Anwendung des berufenen fremden Rechts zu einem nach deutschem Rechtsverständnis völlig untragbaren Ergebnis führt und die engen Voraussetzungen des Art. 6 EGBGB zu bejahen sind, kann auf das deutsche Recht zurückgegriffen werden.