Annerkennung ausländischer Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung

Eine im Ausland ergangene Entscheidung zur elterlichen Sorge, zu Teilbereichen der elterlichen Sorge oder zum Umgang (elterliche Verantwortung) ist im Inland mit gleicher Wirkung wie eine entsprechende inländische Entscheidung anzuerkennen, wenn die Voraussetzungen eines gestuften Systems supranationaler und autonomer Rechtsgrundlagen vorliegen.

  • EuEheVO,
  • Luxemburger europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechtsverhältnisses vom 20.05.1980 (ESÜ), FN Jayme/Hausmann
  • Autonomes Recht (§ 108 Abs. 1 FamFG)

Dies bedeutet im Einzelfall die vorrangige Feststellung, ob der Staat, dessen Gericht/Behörde die Entscheidung erlassen hat (Ursprungsstaat), Mitgliedstaat der EuEheVO und die Entscheidung am 01.03.2005 oder später ergangen ist. Bei Erlass der Entscheidung vor diesem Zeitpunkt – jedoch nicht vor dem 01.03.2001 – ist festzustellen, ob der Ursprungsstaat zum Entscheidungszeitpunkt Mitgliedstaat der VO (EG) Nr. 1347/2000 und die Ehesache gleichzeitig anhängig war und ob die internationale Zuständigkeit für die Ehesache auf der VO (EG) Nr. 1347/2000 beruhte (vgl. o. Rdn. 105) Ist dies nicht gegeben, kommt es darauf an, ob der Ursprungsstaat zu den Vertragsstaaten des ESÜ gehört. Bezüglich aller anderen Ursprungsstaaten ist § 108 Abs. 1 FamFG einschlägig.

1. EuEheVO

In einem Mitgliedstaat der EuEheVO ab deren Anwendbarkeit – 01.03.2005 – ergangene Entscheidungen zur elterlichen Sorge oder zum Umgang (elterliche Verantwortung) werden in allen anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung anerkannt: Art. 21 Abs. 1 EuEheVO. Abweisende Entscheidungen fallen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21; für diese bleibt es bei den Regeln des autonomen Kollisionsrechts (§ 108 FamFG).

Die Anerkennung von in den Anwendungsbereich des Art. 21 Abs. 1 fallenden Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten setzt kein förmliches Anerkennungsverfahren im Inland voraus, sie sind »automatisch« anzuerkennen. Jedoch hat jeder Verfahrensbeteiligte, der ein Interesse daran hat, zur Klarstellung der möglicherweise zweifelhaften Anerkennungsfähigkeit gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 EuEheVO das Recht, die Anerkennungsfähigkeit positiv oder negativ feststellen zu lassen. Das Verfahren hierzu ist Familiensache. Örtlich zuständig ist gem. Art. 21 Abs. 3 2 EuEheVO, §§ 10, 12 IntFamRVG das Familiengericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder das Kind sich aufhält, hilfsweise das Bedürfnis der Fürsorge besteht, sonst das Familiengericht Pankow/Weißensee. Diese örtliche Zuständigkeit gilt unabhängig davon, ob die Ehesache anderweitig anhängig ist oder nicht.

Zu den Förmlichkeiten der für die Anerkennung notwendigen Nachweise gelten Art. 37–39, 52 EuEheVO.

Die lediglich ausnahmsweise in Betracht kommende Nichtanerkennung von in einem Mitgliedstaat ergangenen Sorgerechtsentscheidungen kann nur auf die im abschließenden Katalog des Art. 23 EuEheVO normierten Gründe gestützt werden, welche zum Teil zusätzlich eingeschränkt werden durch die in Art 24–26 EuEheVO geregelten Nachprüfungsverbote.

Ist die Entscheidung zur elterlichen Verantwortung vor dem 01.03.2005 in einem Mitgliedstaat (s.o. Rdn. 46) der VO (EG) Nr. 1347/2000 ab deren Anwendbarkeit – 01.03.2001 – ergangen und war die Ehesache gleichzeitig anhängig, wobei die internationale Zuständigkeit für die Ehesache auf dieser VO beruhte (vgl. o. Rdn. 105), wird sie gem. Art. 64 EuEheVO in gleicher Weise wie vorstehend dargestellt in Anwendung von Art. 21, 23 ff., 37–39, 52 EuEheVO anerkannt.

2. KSÜ

Geht es um die Anerkennung eines Urteils/Beschlusses aus einem Vertragsstaat des KSÜ und ist dieser nicht Mitgliedstaat der EuEheVO (sonst gilt der Vorrang der EuEheVO), ist der entsprechende Titel gemäß Art. 23 Abs. 1 KSÜ anzuerkennen. Jedem Beteiligten steht  es frei, die Anerkennungsfähigkeit  des Titels in einem selbständigen Anerkennungsverfahren gemäß Art. 24 KSÜ in Verbindung mit § 32 InFamRVG feststellen zu lassen. Kann sich ein Beteiligter auf ein Anerkennungshindernis in Art. 23 Abs. 2 KSÜ berufen, kann die Anerkennung versagt werden.

Inhaltlich geht die Norm von dem Grundsatz aus, dass die ausländische Entscheidung anzuerkennen ist, wenn dem nicht konkrete Gründe entgegen stehen – die Anerkennung ist der Grundsatz, die Nichtanerkennung die Ausnahme.

Die Gründe zur Nichtanerkennung sind in § 109 Abs. 1 Nr. 1–4 FamFG abschließend geregelt:

  • Nr. 1: Die Gerichte des Ursprungsstaats müssen aus der Sicht des deutschen Verfahrenskollisionsrechts international zuständig gewesen sein. Hierfür ist Maßstab, ob unter »spiegelbildlicher« Zugrundelegung deutscher Zuständigkeitsnormen ein Gericht des Staates, in dem die Entscheidung ergangen ist, international zuständig war.
  • Nr. 2: Auf dahingehende Rüge eines Verfahrensbeteiligten ist Anerkennungshindernis seine nicht ordnungsgemäße Beteiligung am Verfahren. Dies ist der Fall, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß oder nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist, so dass er seine Rechte nicht wahrnehmen konnte.
  • Nr. 3: Steht die fragliche ausländische Entscheidung im Widerspruch zu einer früher im Inland ergangenen oder hier anzuerkennenden Entscheidung oder einem im Inland früher rechtshängig gewordenen Verfahren, kann sie nicht anerkannt werden.
  • Nr. 4: Anerkennungshindernis ist die Unvereinbarkeit des ausländischen Verfahrens oder des Inhalts der ausländischen Entscheidung mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts: ordre-public-Verstoß. Dies kommt bei Sorgeentscheidungen insbesondere dann in Betracht, wenn das Kindeswohl grob missachtet worden ist; Maßstab ist hier vor Allem Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG.

§ 109 Abs. 1 FamFG übernimmt die bisherige Regelung des § 16a FGG. Im Unterschied zu § 16 a FGG ist allerdings nach § 109 Abs. 4 FamFG grundsätzlich die Verbürgung der Gegenseitigkeit der in § 109 Abs. 4 Nr. 1–5 FamFG genannten Entscheidungsgegenstände erforderlich ist.